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Wenn zu viel Yang zur Lebensgefahr wird

Das Prinzip von Yin und Yang stammt aus der östlichen Philosophie. Yin und Yang sind zwei Energien, die zwar gegensätzlich sind, aber dennoch erst gemeinsam ein Ganzes ergeben. Dieser philosophische Ansatz besagt, dass alles im Universum aus der Polarität von Yin und Yang besteht. Sind diese beiden Energien ausgeglichen, herrscht Harmonie.


Yang ist die männliche Energie. Yang ist aktiv, hell, warm, rational, autonom. Mit Yang werden Sonne, Feuer und Tag assoziiert. Yin ist die weibliche Energie. Yin ist passiv, dunkel, kalt, intuitiv, weise.

Mit Yin werden Mond, Nacht und die Zyklen der Natur (Mondphasen, Ebbe und Flut, Jahreszeiten, Menstruationszyklus) assoziiert. Keine der beiden Energien ist besser als die andere. Harmonische Balance entsteht erst, wenn beide Energien ausgeglichen zusammenwirken. Jeder Mensch trägt Yin und Yang in sich, egal welches Geschlecht wir haben.

Jedoch wirkt die Yang Energie bei Männern und bei Frauen häufig stärker als die Yin Energie. Das liegt daran, dass das männliche Prinzip in der heutigen Gesellschaft stärker betont wird. Schon in unserer Kindheit wird uns beigebracht, dass es wichtig ist, rational zu denken und Leistung zu erbringen. Wir sollen unsere Ziele verfolgen, Verantwortung für unser Handeln übernehmen und Regeln befolgen. Stärke, Kraft, Individualität, Autonomität, Ausdauer, Intelligenz und Kontrolle sind vermeintlich die Zutaten für ein erfolgreiches Leben. Anita Johnston schreibt in ihrem Buch „Die Frau, die im Mondlicht aß“: „(…) dass es einst eine Zeit gab, in der das Mondlicht sehr wichtig war, als man weibliche Eigenschaften schätzte und achtete, eine Zeit, in der Fühlen ebenso galt wie Denken, Intuition ebenso wertvoll war wie Logik, Sein ebenso sehr geschätzt wurde wie Tun und die Reise ebenso wichtig war wie das Ziel selbst.“

Ihre Worte beschreiben für mich sehr treffend, was in unserer Gesellschaft passiert ist: Die weibliche Kraft ist in Vergessenheit geraten. Das kann besonders für Frauen sehr schmerzhaft sein. Wenn wir unseren Fokus in zu hohem Maße auf die Yang Energie in uns richten, arbeiten wir gegen unsere weibliche Natur. Das energetische Ungleichgewicht wird dann immer stärker und wir werden immer unglücklicher. Das Paradoxe ist, dass viele Frauen dieses Unglück zwar spüren, statt aber die Yin Energie in sich zu stärken, noch mehr Richtung Yang Energie arbeiten, weil uns die Gesellschaft suggeriert, dass die Eigenschaften des Yang zu Zufriedenheit führen. Als ich in die Pubertät kam, entwickelte sich mein Körper sehr schnell. Während meine Freundinnen noch den Körperbau eines Mädchens hatten, bekam ich die Kurven einer Frau und zog damit die Aufmerksamkeit auf mich. Ich schämte mich für die Veränderungen meines Körpers und die Kommentare anderer verletzten und verunsicherten mich zutiefst. Die Entwicklung meines Körpers löste in mir ein Gefühl des Kontrollverlustes aus. Kurz nachdem ich meine Periode bekam, starb eine enge Freundin von mir bei einem Verkehrsunfall. Kein Wunder, dass ich die Entwicklung vom Mädchen zur Frau mit Verlust, Trauer, Unwohlsein, Scham und Angst assoziierte.

An dem Tag, an dem meine Freundin starb, fasste ich einen Entschluss: Ich werde die Kontrolle, die ich über mein Leben und meinen Körper verloren habe, wiedergewinnen. Es begann ein Kampf gegen meine Weiblichkeit, gegen meine Natur, gegen mich selbst. Ich wurde immer dünner, bis meine Periode schließlich ausblieb. Mein Körper verwandelte sich von dem einer Frau wieder zurück zu dem eines Mädchens. Mein Leben war gekennzeichnet von Leistung, Disziplin und Kontrolle. Alles in der Hoffnung endlich wieder Freude empfinden zu können und aus dem Sichtfeld der anderen zu verschwinden. Ich flüchtete mich in die Yang Energie, um die Yin Energie in mir zu betäuben. Die erhoffte Freude blieb jedoch aus. Meine Mutter sagte zu mir, ich würde Selbstmord auf Raten machen. Wenn ich an Yang Energie denke, denke ich an ein Feuer, das angenehm wärmt und Licht spendet. Mein damaliges Feuer drohte sich aber immer weiter auszubreiten und alles in mir und meiner Umgebung abzufackeln. Zum Glück erkannte ich dank meiner Familie den Ernst der Lage und begann eine Therapie. Zeitgleich besuchte ich meine erste Yogastunde. Yoga half mir dabei, die Aufmerksamkeit in meinen Körper zu richten und ich machte die Erfahrung, dass die Signale meines Körpers mir häufig mehr mitteilen, als rationale Gedanken. Yoga ist für mich eine Balance zwischen Yin und Yang. Die Verbindung von Atmung und Bewegung erzeugt angenehme Wärme in meinem Körper und gibt mir ein Gefühl von Rhythmus. Ein- und Ausatmung wechseln sich ab wie Tag und Nacht, Sonne und Mond, Ebbe und Flut. Mein Fokus richtet sich nach Innen und ich darf meinen Gefühlen genauso Raum geben, wie meinen Gedanken. Yoga hilft mir dabei, eine Verbindung zu meinem Körper herzustellen und Weiblichkeit als etwas Schönes zu empfinden. Ich fürchte mich nicht mehr vor der weiblichen Yin Energie, sondern erkenne sie als eine wertvolle Kraftquelle in mir an. Mit Hilfe von Yoga traue ich mich zunehmend aus dieser Kraftquelle zu schöpfen, um die natürliche Balance zwischen Yin und Yang herzustellen. Ein Balanceakt, der nicht einfach ist in dieser Gesellschaft und viel Geduld, Achtsamkeit und Vertrauen zu sich selbst erfordert. Seit vielen Jahren begleitet mich das Buch „Die Frau, die im Mondlicht aß“ von Anita Johnston. Durch die Weisheit uralter Märchen und Mythen hilft die Autorin Frauen dabei, zurück in ihre weibliche Kraft zu finden. Das Buch richtet sich in erster Linie an Frauen, die ihre Essstörung überwinden wollen. Ich finde aber, dass Johnston‘s Geschichten ein Geschenk für jede Frau sind.




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