Neulich bekam ich eine Nachricht von einer Schülerin aus meinem Yogakurs für Frauen mit Essstörung. Sie schrieb mir, dass die Motivation, ihre Therapie fortzusetzen und gesund zu werden zwar sehr hoch sei, die Schritte der Veränderung und vor allem der Gewichtszunahme würden ihr aber schwerfallen. Sie fragte mich, ob ich Tipps zum Thema Gewichtszunahme habe. Dieser Artikel ist für dich und für alle Betroffenen, die den Mut haben, alte Muster loszulassen, um neue Lebensenergie zu gewinnen. Hinter Essstörungen stehen meist seelische Ursachen. Eine Therapie kann dir dabei helfen, zu verstehen, welche Problematik zu einem gestörten Essverhalten geführt hat und welche Funktion die Essstörung im Leben eingenommen hat. In einer Therapie kann ein Zukunftsplan erarbeitet werden: Welche Wünsche und Ziele hast du für die Zukunft – wie könnte ein Leben ohne Essstörung aussehen? Es ist wichtig, die eigene Krankheitsgeschichte zu verstehen. Das Verständnis alleine bringt aber leider noch keine Heilung. Ganzheitliche Heilung kann nur gelingen, wenn du Veränderungen auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene zulässt. Bei Untergewicht bedeutet das vor allem, dass du auch die Zunahme an Körpergewicht aushältst und schließlich akzeptierst. Auf einer reinen Verstandesebene wird dir das sehr wahrscheinlich bewusst sein, doch die Umsetzung in die Tat ist die größte Herausforderung und ein Meilenstein auf deinem Heilungsweg. Die Angst vor der Veränderung des eigenen Körpers kenne ich sehr gut. Auf der einen Seite wünschte ich mir sehnlichst ein gesundes Leben zurück, in dem sich nicht alles um die Themen Gewicht, Kalorien, Essen und Körper dreht. Ein Leben, das ich voller Kraft und Energie in all seinen Facetten genießen kann: Liebe & Partnerschaft, Sex, Freundschaften, Urlaube, Essen. Feiern. Tanzen. Frei sein. Auf der anderen Seite wollte ich meinen Ernährungsstil und mein Körperbild nicht loslassen. Die Furcht davor, Kontrolle abzugeben und mich dick zu fühlen, war riesig. Gedanken wie „Wenn ich mich mit Untergewicht schon oft dick fühle, wie soll es mir dann erst gehen, wenn ich jetzt noch zunehme?“ stellten sich mir in den Weg. Da war dieser illusorische Wunsch: Ein gesundes Leben, ohne zunehmen zu müssen. Ein gesundes Leben mit starkem Untergewicht zu führen, ist ein Widerspruch in sich. Wer dem eigenen Körper keine Energie über Nahrungszufuhr gibt, dem wird der Körper auch keine Energie zurückgeben. Untergewicht hat nicht nur schwerwiegende Folgen für den Körper, sondern auch für die Psyche: Durch Mangelernährung werden der Hormonhaushalt und die Funktionen von Botenstoffen im Gehirn gestört. Depressionen, Zwänge und Ängste werden dadurch verstärkt. Körper, Geist und Seele können nur heilen, wenn du ihnen auch die nötige Energie dafür zur Verfügung stellst. Mir wurde schließlich klar, dass eine Gewichtszunahme unvermeidbar ist, wenn ich in meine körperliche und mentale Kraft zurückgewinnen möchte. An dieser Stelle würde ich dir gerne erzählen, dass der Schalter einmal umgelegt werden muss und die Gewichtszunahme dann plötzlich wie von alleine gelingt. Bestimmt gibt es auch solche Fälle, denn der Heilungsweg verläuft bei jedem anders. Mir fiel es jedoch schwer. Ich musste mich langsam herantasten und die ersten Veränderungen, die ich an meinem Körper bemerkte und auf der Waage sah, lösten in mir Unwohlsein aus. Glücklicherweise machte ich aber auch die Erfahrung, dass die Gewichtszunahme eine Übungssache und eine Frage der Gewohnheit ist. Wenn ich eine Zahl das erste Mal auf der Waage sah, kam in mir Panik auf und wenn ich es dann schaffte, das Gewicht trotz der negativen Gefühle zu halten, konnte ich schon wenige Tage später feststellen, dass diese Zahl nun zur Gewohnheit geworden war und mir keine Angst mehr machte. Genauso war es auch mit der Körperwahrnehmung. Und so ging ich Schritt für Schritt und wurde für jeden Schritt belohnt: meine Periode setzte wieder ein, depressive Episoden wurden weniger, ich lernte meine Weiblichkeit neu kennen, Ängste und Zwänge ließen nach und ich gewann eine bessere Wahrnehmung für meinen Körper. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich mich heute jeden Tag wohl in meinem Körper fühle. Es gibt bessere und schlechtere Tage. Aber ich habe gelernt, dass plötzliches Unwohlsein in meinem Körper (ich nenne es auch „Fettattacke“ ;)) nichts mit meinem realen Körpergewicht zu tun hat. Es ist das Sprachrohr, durch das mein Körper mir sagt, dass etwas in meinem Leben gerade Beachtung braucht. Ich gehe dann in Verbindung zu meinem Körper, praktiziere Yoga, atme tief durch und gebe meinen Gefühlen Raum. Meistens erkenne ich dann schnell, was in meinem Leben mir gerade Stress bereitet. Auch hinter Heißhungerattacken oder plötzlicher Angst vor Nahrungsmitteln steckt immer eine Botschaft, die gehört werden möchte. Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass die Magersucht selber niemals das Problem war. Oft hört man vom „Kampf gegen die Magersucht“. Ich kämpfe nicht gegen die Magersucht. Sie und ich haben in dem Moment Frieden miteinander geschlossen, in dem ich erkannt habe, dass sie sich laut meldet, wenn mein Leben aus dem Gleichgewicht gerät.
Nun möchte ich dir Anregungen geben, die dir bei der Gewichtszunahme helfen können: Bewegung Bewegung tut gut. Lockere Spaziergänge an der frischen Luft, sanftes Yoga oder Tanzen können dir dabei helfen, in Verbindung mit dem eigenen Körper zu kommen und die Veränderungen des Körpers besser auszuhalten. Was Sport betrifft: Sei ehrlich zu dir selbst. Intensive Sportarten, die viele Kalorien verbrennen sind keine hilfreichen Begleiter bei der Gewichtszunahme. Es würde bedeuten, dass du dann mehr essen musst, um auch wirklich zuzunehmen. Wer zwar mehr isst, aber die Kalorien durch Sport wieder verbrennt, betuppt sich selbst.
Yoga Mir hat vor allem Yoga auf dem Weg der Heilung sehr geholfen. In meinen Kursen für Frauen mit Essstörungen gebe ich meine Erfahrungen weiter. Ziel meiner Yogakurse ist es, dich darin zu unterstützen, ein gutes Körpergefühl zu entwickeln und Selbstliebe zu erfahren. Bewusste Atmung, sanfte Körperübungen und Meditation sollen dabei helfen, im eigenen Körper anzukommen und die Signale des Körpers wieder besser wahrzunehmen. Yoga hat mir dabei geholfen, die Veränderungen meines Körpers während der Gewichtszunahme anzunehmen und Frieden mit meinem weiblichen Körper zu schließen.
Wohlfühlgewicht Ein Ziel auf dem Heilungsweg sollte sein, ein gesundes Wohlfühlgewicht zu finden. Eine Herausforderung, denn woher weiß man eigentlich ab wann ein Gewicht gesund ist? Es gibt den Body-Mass-Index (BMI) als Maßstab. Der BMI ist eine Formel zur Gewichtsberechnung und gibt an, ob man untergewichtig, normalgewichtig oder übergewichtig ist. Der BMI gibt dir somit eine Orientierung, dein Wohlfühlgewicht kann er aber nicht berechnen. Nach der Set-Point-Theorie hat jeder Mensch ein bestimmtes Körpergewicht (Set-Point), bei dem es ihm gut geht und welches unter normalen Stoffwechselbedingungen konstant gehalten wird. Wenn man lernt, die Signale des eigenen Körpers wieder besser wahrzunehmen, sagt der Körper einem sehr deutlich, wann man dieses Gewicht erreicht hat. Wann fühlst du dich voller Kraft und Energie? Wenn du deine Periode nicht regelmäßig bekommst, ist das sehr wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass du dieses Gewicht noch nicht erreicht hast. Ein Besuch bei einer Gynäkologin, die sich mit Essstörungen auskennt, kann dir helfen - manchmal, wenn man sehr lange keine Menstruation hatte, braucht es einen kleinen hormonellen Anstoß.
Es macht wenig Sinn, das eigene Gewicht mit dem Gewicht anderer Menschen zu vergleichen, denn jeder hat einen anderen Kostitutionstyp. Stellen wir uns zwei Frauen mit der gleichen Körpergröße und dem gleichen Gewicht vor: Während die eine Frau einen regelmäßigen Zyklus hat und sich voller Energie fühlt, könnte die Periode bei der anderen Frau ausbleiben und sie fühlt sich körperlich und mental schwach. Es ist wichtig, den eigenen Konstitutionstyp zu erkennen und anzunehmen. Erst dann kannst du ganzheitlich gesund werden.
Die Zahl auf der Waage Ich würde dir raten, dich nicht zu oft zu wiegen. Wenn du deinen Körper immer auf Sparflamme gehalten hast und ihm jetzt mehr Energie gibst, ist er im Heilungsmodus. Er ist dir dankbar und nimmt sich alles, was er kriegen kann. Das kann bedeuten, dass du am Anfang schneller zunimmst und viel Hunger hast. Kein Grund zur Sorge! Dieser Heilungsprozess ist ganz normal und dein Gewicht und dein Hungergefühl werden sich einpendeln. Auch Wassereinlagerungen (und dadurch zusätzliche Kilos) sind normal, wenn du zunimmst. Lass dich nicht von der Zahl auf der Waage entmutigen.
Im Übrigen haben auch Frauen, die nicht unter einer Essstörung leiden, zyklusbedingt Gewichtsschwankungen und oft den sogenannten „Tagehunger“ bevor die Periode einsetzt - das ist also ganz normal - bis zu drei Kilo kann die Waage mehr anzeigen - und das über Nacht. Ruhe und Entspannung Du nimmst zu, aber die körperliche und mentale Energie bleibt trotzdem weg? So war es anfangs auch bei mir. Ich erinnere mich noch gut an den Morgen, an dem ich mich das erste Mal getraut habe, mit einem Freund in einem Restaurant frühstücken zu gehen. Danach habe ich vor Erschöpfung 3 Stunden geschlafen. Es ist verständlich, dass man müde ist, wenn man seine größten Ängste überwindet. Körper, Geist und Seele leisten einiges auf dem Weg der Heilung. Gönn dir viel Zeit für dich, Ruhe und Entspannung. Jetzt ist nicht die Zeit, in der du Höchstleistungen von dir verlangen solltest. Deine Energie wird schon bald doppelt und dreifach zurückkommen. :-) Unterstützung Therapeuten, Ärzte und eine Ernährungsberatung können dir hilfreiche Unterstützung geben. In einer Therapie lernst du nicht nur, deine Krankheitsgeschichte zu verstehen. Auch Ängste, Sorgen und Widerstände, die während einer Gewichtszunahme aufkommen, können besprochen werden. Mir hat der Zuspruch meiner Therapeutin immer sehr dabei geholfen, mutig zu bleiben und nicht aufzugeben. In einer Ernährungstherapie kannst du deinen Umgang mit dem Thema Essen neu erlernen: Was ist ein regelmäßiger Essensrhythmus? Was bedeutet eine ausgewogene Ernährung? Wie kann man Achtsamkeit mit Essen verbinden? Auch ärztliche Betreuung macht Sinn, um körperliche Ursachen für Beschwerden auszuschließen (z.B. Schilddrüsenerkrankungen). Ablenkung Natürlich ist es wichtig, sich in der Therapie, in der Ernährungsberatung und auch in anderen Bereichen, wie zum Beispiel beim Yoga, mit dem Thema Heilung auseinanderzusetzen. Ganz wichtig sind aber auch Auszeiten, in denen du etwas ganz anderes machst: Triff Freunde, probiere neue Aktivitäten aus, lass dich ablenken (alles einfacher, wenn der Lockdown vorbei ist). Es kann auch helfen, das Zuhause auszumisten – schmeiß raus, was du nicht mehr gebrauchen kannst. Auf materieller Ebene loszulassen, hilft auch dabei, sich auf mentaler Ebene von Ballast zu befreien. Trenn dich auch von alten Klamotten, die dir zu eng geworden sind. Geh shoppen und gönn Dir vielleicht ein schönes, neues Kleid.
Wünsche und Ziele Wünsche und Ziele geben einem Mut und Kraft, Schritte der Veränderungen zu gehen. Wer kein Ziel vor Augen hat, ist wenig motiviert, Hindernisse auf dem Heilungsweg zu überwinden. In folgendem Artikel https://www.lillylia-yoga.com/post/heilungsweg-teil-1-wie-dir-eine-vision-bei-den-ersten-schritten-auf-deinem-weg-helfen-kann gebe ich dir Tipps für das Formulieren deiner Vision. Heile für dich und mache die Heilung zu deiner Priorität. Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben und du hast es verdient, gesund zu sein - nicht irgendwann in der Zukunft, sondern genau jetzt. Du kannst dich zwar für andere Menschen verändern, diese Veränderung ist aber oft nicht von langer Dauer. Wenn man zum Beispiel nur an Gewicht zunimmt, um Familie, Freunde, Ärzte und Therapeuten zufrieden zu stellen, ist die Gefahr, rückfällig zu werden, sehr hoch. Du hast die Verantwortung für den Körper, der dir gegeben wurde. Er ist abhängig davon, dass du dich um ihn kümmerst, ihn gut behandelst, ihn liebst. Darum kann Heilung nur aus deiner tiefen Überzeugung und Selbstliebe entstehen.
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