Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung leiden von 1000 Menschen 30-50 an einer Essstörung. Bezogen auf die deutsche Gesamtbevölkerung sind das bis zu 4 Millionen Menschen. Kliniken und zentrale Anlaufstellen für Menschen mit Essstörungen berichten, dass es seit dem Beginn der Corona Pandemie einen starken Zuwachs an essgestörten Patienten gibt und die Wartelisten für Therapieplätze lang sind. Die Symptome bereits erkrankter Menschen verstärken sich häufig. Hinzu kommen Betroffene, die rückfällig werden oder erstmals unter den Symptomen einer Essstörung leiden. Prof. Ulrich Voderholzer ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der Schön Klinik Roseneck. Im August 2020 veröffentlichte er mit Kollegen zwei Studien, in denen untersucht wurde, inwiefern sich die Maßnahmen der Corona Pandemie auf die Gesundheit von Menschen mit Bulimie und Magersucht auswirken. Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass 2/3 der Betroffenen von einer Zunahme an Sorgen und Ängsten, die in Zusammenhang mit ihrer Essstörung stehen, berichten. So hatten die Befragten zum Beispiel Angst vor Gewichtszunahme und einen starken Bewegungsdrang. Besonders heftige Belastungsfaktoren, welche die Symptomatik verstärken, sind Einsamkeit und Traurigkeit als Folge des Verlustes sozialer Kontakte. Bei jedem zweiten Befragten kam es Corona bedingt zu einem Abbruch der Präsenz Therapie, die nur teilweise durch Telefon- oder Videoangebote ersetzt wurde. Den Studien zufolge leiden Menschen mit Ess-Brech-Sucht (Bulimie) besonders unter der Pandemie: Fast die Hälfte der Patienten (49%) berichtete über eine Verschlechterung ihrer bulimischen Symptomatik und 62% über eine verminderte Lebensqualität. Die Häufigkeit von Essattacken stieg bei 47% der Patienten und das selbstinduzierte Erbrechen bei 36%. Die Ergebnisse der Studien wurden bereits im August veröffentlicht und beinhalten somit nur die Auswirkungen der ersten Monate in der Corona Pandemie. Man kann somit vermuten, dass die Wintermonate im Lockdown die Symptomatik Betroffener nochmals erschweren. Zudem waren die Teilnehmer der Studien Personen, die bereits in psychologischer Betreuung waren oder sind. Hinzu kommen die Menschen, die durch die Pandemie erst eine Essstörung entwickeln. Wie eingangs erwähnt, sind die Wartelisten für Therapieplätze lang und die Dunkelziffer Erkrankter ist besonders bei Menschen, die an Bulimie leiden, sehr hoch. Das Ziel meines Artikels ist nicht herauszustellen, wie dramatisch die Folgen der Pandemie und des damit verbundenen Lockdowns für Menschen mit psychischen Erkrankungen sind. Das ist uns allen bewusst. Auch an Menschen, die psychisch stabil sind, ziehen diese Monate nicht spurlos vorbei. Ich möchte ein Verständnis dafür wecken, warum Essstörungen während der Corona Pandemie zunehmen. Es ist wichtig über Essstörungen zu sprechen, damit Betroffene, aber auch Angehörige und Freunde, die Gründe, Anzeichen und Tücken einer Essstörung frühzeitig erkennen können. Ein rechtzeitiger Therapiebeginn kann davor schützen, dass die Essstörung einen chronischen Verlauf annimmt. Je länger die Symptome einer Essstörung bestehen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die Essstörung vollständig geheilt werden kann. Warum nehmen Essstörungen während der Corona Pandemie zu? Prof. Ulrich Voderholzer erklärt im Podcast „ÄrzteTag“, dass Essstörungen als Kompensationsmechanismus genutzt werden, um mit negativen Gefühlen und Ängsten umzugehen. Im Allgemeinen stellen unter anderem Perfektionismus, Leistungsdruck, Mobbing, Verlusterlebnisse und Konflikte Belastungsfaktoren dar, die das Risiko, an einer Essstörung zu erkranken, erhöhen. In der Pandemie sind es vor allem Sorgen sowie Gefühle von Einsamkeit und Ungewissheit, die Menschen in die Essstörung treiben können. Viele Frauen, mit denen ich gesprochen habe, geben eine „einfache Diät“ als den Beginn ihrer Essstörung an. Menschen, die sich in einer Lebenskrise befinden, neigen besonders zu dem Glauben, dass der „perfekte“ Körper ihnen zu mehr Glück im Leben verhelfen würde. Wenn dann während einer Diät die Erfahrung gemacht wird, dass die zwanghafte Beschäftigung mit dem eigenen Körper und dem Essen oder Nicht Essen sogar seelischen Schmerz betäuben kann, wird der Körper zum Ventil. Esssucht, Bulimie und Magersucht werden als Retter in der Not erlebt. Ein Trugschluss, denn häufig führen Essstörungen langfristig zu mehr Ängsten, Sorgen, Depressionen und Einsamkeit. Nicht selten enden sie mit dem Tod. Wir leben momentan in einer Welt, in der wir unsere Zukunft kaum planen können. Diese Ungewissheit führt zum Wunsch nach Kontrolle. Das eigene Körpergewicht und das eigene Essverhalten lassen sich kontrollieren. Zahlen auf der Waage, in Lebensmitteltabellen und in Gedanken sind berechenbar – so entsteht das Gefühl, man könne die Kontrolle und Planbarkeit über das eigene Leben zurückgewinnen. Somit finde ich es naheliegend, dass die Corona Pandemie eine große Gefahr für die Entstehung oder die Verstärkung einer Essstörungssymptomatik darstellt. Nicht nur aufgrund von seelischem Leid, das durch die Symptome einer Essstörung kompensiert oder betäubt wird. Auch weil man viel mehr Zeit hat, um sich mit dem eigenen Körper, Sport und Essen auseinanderzusetzen. Wenn gewohnte Tagesstrukturen, soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten wegbrechen, ist die Gefahr, das Thema Essen in den Mittelpunkt des Alltags zu stellen, umso größer. Wo können Betroffene Hilfe finden? Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat einige Tipps für Betroffene zusammengestellt. Unter folgendem Link https://www.bzga-essstoerungen.de/zusammen-gegen-corona/?L=0 findest du Informationen und Adressen von Telefon – und Online Beratungsstellen, Informationen zu Selbsthilfeprogrammen und Anregungen für einen strukturierten, unterstützenden Alltag.
Du bist nicht alleine Ich möchte dir sagen, dass du nicht alleine bist. Vielen Menschen, darunter besonders vielen Frauen, geht es gerade so wie dir.
Ich fühlte mich selber lange in einer Essstörung gefangen. Ich dachte, dass die Kontrolle meines Körpergewichtes und meines Essverhaltens mir Sicherheit im Leben geben kann. Doch in Wirklichkeit war es die Essstörung, die die Kontrolle über mich und mein Leben übernommen hatte. Ich habe mich vor 11 Jahren für den Heilungsweg entschieden. Heilung bedeutet für mich, Essensgedanken, plötzliches Unwohlsein im eigenen Körper oder ein verzerrtes Spiegelbild als Botschaften zu erkennen, die mir etwas Wichtiges mitteilen. Wenn man den eigenen Gefühlen und Gedanken Beachtung schenkt, muss man sie nicht betäuben. Ich werde mein Leben lang achtsam sein müssen, um nicht rückfällig zu werden und so stellt die Corona Pandemie auch mich vor eine Herausforderung.
Ein trockener Alkoholiker muss sich selber davor beschützen, dass er in die Versuchung kommt, wieder Alkohol zu trinken. Anders als Alkohol ist Essen überlebenswichtig, deswegen können wir es nicht „einfach weglassen“. Einen gesunden Umgang mit dem Essen zu finden, ist eine tägliche und lebenslange Aufgabe.
Quellen:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/erv.2773
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